Ich räume meine Schreibtisch nicht auf, weil sich der Staub wie eine wärmende Decke über all die Baustellen meines Lebens ausgebreitet hat. Ich kuschel mich in diese Decke und will die Welt nicht an mich heranlassen. Nicht weil die Welt grausam ist, ich halte die Welt für potentiell-wundervoll, sonder weil sie erkennen könnte, wie grausam ich bin. Ich kann mich noch nicht von der Welt auf meine Grausamkeit ansprechen lassen. Ich will sie ja nicht mal mit mir selbst besprechen müssen.
Ich räume meinen Schreibtisch nicht auf, weil ich dort Dinge finden werde, mit denen ich nichts anzufangen weiß, sie haben keinen wirklichen Platz, sind heimatlos, in meinen Regalen, meinen Schubladen, meinem Leben. Und sie schreien danach, dass ich mich mit ihnen auseinandersetze, also ersticke ich sie unter Büchern und Papier und Stiften und der Kamera und Federn und Müll und Staub. Bis ich genug Sicherheitsabstand zwischen sie und mich gebracht habe.
Ich räume meinen Schreibtisch nicht auf, weil dort Fremdes verborgen liegt. Unzurückgegebenes, Geliehenes, ungeliebte Geschenke. Dinge deren Wert ich auf meiner Reise verloren haben. Der Wert ging, das Ding bleibt. Ich ziehe aus diesen Dingen, diesen Gefühlen, diesen Erinnerungen weder Nutzen noch Freude. Aber ich habe nicht den Mut sie wegzuwerfen, von meinem Schreibtisch aus meinem Leben zu räumen. Also verstecke ich sie vor mir.
Ich räume meinen Schreibtisch nicht auf, um nicht entscheiden zu müssen, was ich mit den alten Briefen tun soll. Sie erinnern mich so sehr daran was war und nicht mehr ist. Wie ich war und nicht mehr bin. Wer du warst und nicht mehr bist. Alle Alten Versprechen, versäumten Chancen zeigen mit Fingern auf mich. Diese Briefe würden mich zu Tränen rühren, weil sie so schön und so vergangen sind. Als Zeugen einer Zeit die mich freuen und mahnen sollte, müsste ich einen Platz für sie finden. Ich müsste einen Platz für diese ganzen Gefühle finden und ich weiß nicht, wo ich beginnen sollte nach diesem Platz zu suchen.
Ich räume meinen Schreibtisch nicht auf, weil ich Angst habe. Angst vor mir und um mich, Angst vor meinen Fehlern, und meinen Selbstverurteilungen, Angst vor den Augen der Anderen, Angst vor der Aufgabe vor mir. Angst vor dem leeren Schreibtisch zu stehen, vor der Leere, vor dem Nichts.
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